Anmerkungen und Gedanken zum Bericht des Bundesrates «Kohlenstoffsequestrierung in Böden» vom 29. März 2023 – Eine Kritik von Niklaus Iten, diplomierter Lebensmittelingenieur ETH und Präsident der IG Bio
Der im März 2023 erschienene Bericht des Bundesrates zur langfristigen Speicherung von organischem Kohlenstoff in Schweizer Böden lässt einige bedeutungsvolle Aspekte ausser Acht. Insbesondere wird die nachhaltige Beweidung als Lösung des Problems nicht erwähnt. Denn nur wenn Dauerwiesen beweidet werden, entfalten sie tatsächlich erst ihr volles Kohlenstoffspeicher-Potenzial.
Der Bericht erwähnt zwar Dauerwiesen als eine Priorität, aber nicht in Bezug auf die Erhaltung der organischen Bodensubstanz (OBS). Es wird sogar fälschlicherweise behauptet, dass das Potenzial von Dauerwiesen zur CO₂-Sequestrierung unbekannt sei, genauer gesagt wird ihnen ein geringes Potenzial zur CO₂-Sequestrierung attestiert.
Jedoch zeigen Studien, dass Dauerwiesen in Kombination mit der richtigen Beweidung sogar klimapositiv sein können. Durch die Co-Evolution von Dauergräsern und Wiederkäuern über Jahrmillionen hinweg entstand ein System, das Kohlenstoff langfristig – in Form von Humus – im Boden speichert. Eine nachhaltige Beweidung von Dauerwiesen kann daher durch langfristige Kohlenstoffspeicherung eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Jede zusätzliche Tonne organische Bodensubstanz (Humus) entlastet die Atmosphäre um ca. 1.8 Tonnen CO₂.
Im Vergleich zu anderen Landnutzungsformen wie Mooren, Wald und Ackerböden scheint eine nachhaltige Beweidung von Dauerwiesen sogar das grösste Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung (auch Sequestrierung genannt) zu haben. Das Potenzial kann weiter erhöht werden, wenn Ackerbau im Wechsel mit Beweidung betrieben wird (anstatt auf den entsprechenden Flächen nur reinen Ackerbau zu betreiben).
Damit wird ausserdem Bodenerosion vermindert, die zusätzlich zu Kohlenstoffverlusten beiträgt. Es ist daher unverständlich, warum der Bericht die nachhaltige Beweidung als wichtige Massnahme zur CO2-Sequestrierung nicht erwähnt.
Die Bedeutung der Beweidung für eine nachhaltige Landwirtschaft
Die Vorteile einer graslandbasierten Tierhaltung beschränken sich aber nicht auf die Kohlenstoffspeicherung. Auch andere Ziele nachhaltiger landwirtschaftlicher Systeme werden durch sie positiv beeinflusst.
So werden durch sie Bodengesundheit und -fruchtbarkeit, Biodiversität, Tiergesundheit und Klimaresilienz gefördert, während gleichzeitig die Bodenerosion reduziert wird. Eine rein ackerbauliche Nutzung ohne Tiere auf den Flächen mindert überdies das Potenzial zur Reduzierung von Pestizid- und Herbizideinsatz sowie Stickstoff- und Phosphorverlusten und der Abhängigkeit von Kunstdünger.
Aus diesem Grund ist es bedauerlich, dass viele Diskussionen und Studien zur Klimawirkung von Tierhaltung die Unterschiede zwischen konventionellen und graslandbasierten Tierhaltungssystemen zu wenig würdigen. Eine pauschale Forderung nach Reduktion der Tierbestände und des Fleischkonsums greift zu kurz und ignoriert die positiven Effekte einer nachhaltigen Beweidung (damit sind die negativen Implikationen in Bezug auf die menschliche Ernährung noch gar nicht adressiert). Die Umstellung auf graslandbasierte Tierhaltungssysteme kann dabei einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung der Klimaziele und zur Schaffung einer nachhaltigen Landwirtschaft leisten.
Diesbezüglich wurde in einer bemerkenswerten Studie des Sustainable Food Trust aus dem Jahr 2022 untersucht, wie eine gesunde und nachhaltige Ernährungsweise der Bevölkerung in Grossbritannien erreicht werden kann –und das sogar ohne zusätzliche Importe. Die Studie kommt zu dem bemerkenswerten Schluss, dass zwar der Konsum von Schweine- und Geflügelfleisch substanziell reduziert werden müsste, der Konsum von Fleisch von – dann ausschliesslich weidegehaltenen – Wiederkäuern aber mindestens gleich hoch gehalten werden müsste, um eine hundertprozentig nachhaltige Landwirtschaft zu verwirklichen.
Dies eben wegen der wichtigen Rolle der Wiederkäuer für das Gesamtsystem. Das steht im Gegensatz zu anderen Studien, wie zum Beispiel dem EAT-Lancet-Bericht von 2019 oder jüngst dem Leitfaden «Wege in die Ernährungszukunft der Schweiz», die pauschal und einseitig eine Reduktion des Fleischkonsums fordern.
Fazit
Es ist wichtig, dass Diskussionen zum Potenzial der Kohlenstoffsequestrierung die wichtige Rolle der Beweidung berücksichtigen. Ferner ist es an der Zeit, eine ganzheitliche Sichtweise auf die Landwirtschaft zu entwickeln und die wichtige Rolle anzuerkennen, die unseren Tieren und insbesondere nachhaltigen Beweidungssystemen bei einer «enkeltauglichen» Landwirtschaft zukommt. Eine pauschale Verurteilung einer Landwirtschaft mit Tieren ist nicht zielführend, sondern zumeist ideologisch begründet und basiert häufiger auf zweifelhaften, einseitigen Modellrechnungen als auf evidenzbasierten wissenschaftlichen Fakten.
Ohne Tiere scheitert die Gleichung
Die Faktenlage scheint mehr als klar. Wer die Bodengesundheit und die Bodenfruchtbarkeit erhalten, den Humusabbau reduzieren und Humusaufbau fördern, die Biodiversität erhalten und der Klimakrise begegnen will und dabei das Tier aus der Gleichung herausnimmt, wird grandios scheitern.
Es ist Zeit, die eindimensionale Sichtweise von der tierbasierten Landwirtschaft als Wurzel allen Übels zu korrigieren und Landwirtschaft als Gesamtsystem zu betrachten, in welchem die einzelnen Systemparameter nahtlos ineinandergreifen und einander bedingen und wo die Trennung von Ackerbau und Tierhaltung überwunden wird. Es ist im Kern die Philosophie des biologischen Landbaus.
Dann wird die Erkenntnis reifen: Nicht die Kuh ist der Klima-Killer, sondern die industrielle Landwirtschaft. Aber wir brauchen die Wiederkäuer auf der Weide und nicht im Stall, vollgestopft mit Kraftfutter. Dann können wir die Resilienz unserer Agrarökosysteme stärken. Und dann wird die Kuh mit einem schönen Bild von Anita Idel zum «globalen Landschaftsgärtner» und zur Klima-Retterin.
Leseempfehlungen zum Thema
- https://www.sueddeutsche.de/wissen/fleisch-klimawandel-vegetarsich-1.5707337?reduced=true
- https://www.badische-bauern-zeitung.de/es-kommt-auf-die-art-der-fuetterung-an
- https://www.sueddeutsche.de/kolumne/nachhaltigkeit-acker-schnitzel-mensch-und-klima-1.5603447?reduced=true
- https://www.woz.ch/1651/nutztiere-und-umwelt/angeklagt-kuh-schaf-und-geiss
Quellen
- Barbour, H. et al. (2022). Towards a Healthy and Sustainable UK Food System. Sustainable Food Trust.
- Beste, Andrea; Idel, Anita (2018). Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft – oder warum weniger vom Schlechten nicht gut ist.
- Fesenfeld, L. et al. (2023). Wege in die Ernährungszukunft der Schweiz: Leitfaden zu den grössten Hebeln und politischen Pfaden für ein nachhaltiges Ernährungssystem. SDSN Schweiz – https://doi.org/10.5281/zenodo.7543576
- Frank, Helmut/Schmid, Harald/Hülsbergen, Kurt-Jürgen (2019): Modelling greenhouse gas emissions from organic and conventional dairy farms. In: Landbauforschung: Journal of Sustainable and Organic Agricultural Systems 69, S. 37–46
- Hülsbergen H-J, Rahmann G (eds) (2015) Klimawirkungen und Nachhaltigkeit ökologischer und konventioneller Betriebssysteme – Untersuchungen in einem Netzwerk von Pilotbetrieben: Forschungsergebnisse 2013-2014. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 175 p, Thünen Rep 29, doi:10.3220/REP_29_2015
- Idel, Anita (2022): Die Kuh ist kein Klima-Killer! Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können. Verlag Metropolis. ISBN 978-3-7316-1513-2.
- Kohlenstoffsequestrierung in Böden. Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats 19.3639 Bourgeois vom 18. Juni 2019
- Rodgers Diana, Wolf Robb: Sacred Cow: The Case for (Better) Meat: Why Well-Raised Meat Is Good for You and Good for the Planet. BenBella Books.2020
- Rowntree JE, Stanley PL, Maciel ICF, Thorbecke M, Rosenzweig ST, Hancock DW, Guzman A and Raven MR (2020) Ecosystem Impacts and Productive Capacity of a Multi-Species Pastured Livestock System. Front. Sustain. Food Syst. 4:544984. doi: 10.3389/fsufs.2020.544984
- Sanders J, Hess J (eds) (2019) Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage.Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 398 p, Thünen Rep 65, DOI:10.3220/REP1576488624000
- Teague, W. R. et al. (2016). The role of ruminants in reducing agriculture's carbon footprint in North America. Journal of Soil and Water Conservation, 71(2), 156-164.
- Willett W, Rockström J, et. al. Food in the Anthropocene: the EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. Lancet. 2019 Feb 2;393(10170):447-492. doi: 10.1016/S0140-6736(18)31788-4.